Ev. Kirche Freiberg a.N.

10.04.2020 - Predigt zu Karfreitag 2020

Predigt zu Karfreitag 2020:

2. Korinther 5, 19-21: (Übersetzung nach der Basisbibel, Text im Verlauf der Predigt)

Liebe Karfreitagsgemeinde,

in den letzten Tagen musste ich immer mal wieder daran denken, wie schwer es mir in den vergangenen Jahren manchmal fiel, mit Ihnen und Euch die Passionszeit zu begehen. Von Aschermittwoch an sang man die sowieso schon ernsten Kirchenlieder in verschärfter Molltonart, musste man sich auseinandersetzen mit dem Weg Jesu ans Kreuz; doch das wirkte angesichts der aufbrechenden Natur mitunter aufgesetzt, schien fast eine Art Gehorsam gegenüber dem Kalender zu sein. Was ist erlaubt in der Karwoche, was an Karfreitag? Das waren unsere Fragen! Soll man ernsthaft verzichten, innehalten und gedenken? Für viele unter uns, auch für mich selbst, blieb das ein fremdes, ein fernes Geschehen, nicht wenige haben wohl eher auf das Fasten VERZICHTET als wirklich VERZICHT zu üben.

In diesem Jahr ist alles anders. In diesem Jahr braucht niemand eine Erklärung dafür, was eine Passionszeit, eine Leidenszeit bedeutet. Niemand muss sich fragen, worauf er verzichten MÖCHTE, denn der Verzicht ist auf einmal zur Pflicht geworden. Der Verzicht auf Nähe, auf Gemeinschaft unter Verwandten, unter Schulkindern und Nachbarn, unter Freundinnen und Kollegen, es ist der Verzicht auf Feiern und Feste, auf Krankenbesuche, auf die Arbeit, auf Gehalt, auf Versammlungsfreiheit, auf Reisen, auf Gottesdienste. Das scheinbar Selbstverständliche erscheint kostbarer denn je, erst jetzt begreifen wir, was wir hatten, ohne es zu merken. Die ganze Welt ist im Modus der Passion, auch das so starke Europa, das bislang davon weiter entfernt war als andere Kontinente.

Wie gerne würde ich Ihnen und Euch heute sagen, mit Karfreitag sei die Spitze des Leidens erreicht! Nun, mit Blick auf das Evangelium dieses Tages kann ich das sagen – jedoch noch nicht mit Blick auf unser Leben in dieser Welt. Das betont Paulus in seinem Briefabschnitt an die Korinther.

19 In Christus war Gott selbst am Werk, um die Welt mit sich zu versöhnen. Er hat den Menschen ihre Verfehlungen nicht angerechnet. Und uns hat er sein Wort anvertraut, das Versöhnung schenkt. 20 Wir treten also anstelle von Christus auf. Es ist, als ob Gott selbst die Menschen durch uns einlädt. So bitten wir anstelle von Christus: Lasst euch mit Gott versöhnen! 21 Gott hat Christus, der keine Sünde kannte, an unserer Stelle als Sünder verurteilt. Denn durch Christus sollten wir vor Gott als gerecht dastehen.

Ich versuche eine Zusammenfassung:

Schaut her, liebe Christenmenschen, alles, was an Karfreitag durch den Tod Jesus geschehen ist, war ein Akt göttlichen guten Eingreifens in eine Welt, die das Dunkel ebenso kennt wie das Helle. Das dürft ihr nämlich nicht vergessen, dass diese Welt kein Schauplatz beständigen Glückes ist.

Die Welt, die wir erleben, ist nicht heil, nicht erst jetzt, nein, das ist sie seit der Schöpfung schon nicht. Die Schöpfung selbst ist ja eine fortwährende Chaosüberwindung! Die Nacht mit ihrer Unergründlichkeit bleibt als harte Wirklichkeit – und nicht nur als Symbol - neben dem hellen Tag bestehen. Auch der Garten Eden, das sprichwörtliche Paradies, das Gott im zweiten Bericht der Schöpfung pflanzt, um den Menschen hineinzusetzen, ist lediglich ein Ausschnitt des Ganzen, aber nicht das Ganze selbst.  

Das heißt, es bleibt etwas in dieser Schöpfung, das wir nicht verstehen und begreifen können – und das seinen letzten Ausdruck im Leiden und Sterben der Kreatur findet.

Was nun an Karfreitag geschehen ist, dürft ihr so verstehen:

Gott will durch den Tod seines Gesalbten, ja seines Sohnes versöhnen, was offensichtlich unversöhnt ist und nach wie vor der Erlösung harrt. Jesu Tod ist die Überwindung des Todes als hoffnungsloses Ereignis. Denn es ist gerade dieser hoffnungslose Tod, der den Menschen in einem unversöhnten Verhältnis zu Gott stehen lässt, denn der Mensch versteht Gott oft nicht, er kann ihn nicht akzeptieren, er begreift nicht, warum alles erdenklich Schwere geschieht, was jetzt in dieser Krise auf besondere Weise augenscheinlich wird. Woher kommt eine solche Pandemie, warum können wir sie nicht stoppen, warum sterben so viele? Das sind unsere unbeantworteten Fragen an Gott.

Doch nicht nur Gott ist für den Menschen ein Rätsel, sondern umgekehrt auch, sagt die Bibel, der Mensch ist ein Rätsel für Gott. Warum ist er oft so lieblos, so eigensinnig, so unbeherrscht im Umgang mit sich selbst, den anderen und der ganzen Kreatur? Sogar den Sohn Gottes haben wir wie einen Verbrecher ans Kreuz geschlagen, erzählt die Geschichte dieses Tages. Gott leidet also am Menschen genauso wie wir an ihm.   

Die gute Nachricht von Karfreitag ist nun: Unsere Verfehlungen werden uns nicht angerechnet. Gott bestraft uns nicht für das, was wir tun, sondern dreht den Spieß um. Er macht den Tod seines Sohnes, den der Mensch verschuldet hat, zur Versöhnung für alle. Zum Ende der Hoffnungslosigkeit. Das heißt für unser Leben heute: Auch Corona ist keine Strafe Gottes. Gott rechnet nicht so wie wir, er macht aus unseren Verfehlungen keinen Strafenkatalog. Stattdessen bietet er uns Liebe, Barmherzigkeit und Versöhnung in der Person Jesu. Er will, dass wir diese Welt, die wir oft nicht verstehen, neu und anders annehmen können. Er will, dass wir ihn, Gott, als Gott der Liebe, der den Riss in der Schöpfung heilt, annehmen können.

Darum ist der Karfreitag als Höhepunkt des Passionsgeschehens letztlich doch ein Feiertag. Denn Gott sagt uns: Es reicht ein für alle Mal aus, dass Christus sterben musste, weil falsch verstandene Religion ihn zum Tode verurteilte. Das Geschehen des Karfreitags kann und darf sich nicht wiederholen. 

Wer das annehmen und in seiner ganzen Widersprüchlichkeit glauben kann, dass durch einen Tod Heilsames geschieht, der wird von tiefer Freude erfasst und will verkünden: Die Schuld ist weg, wir sind befreit! Gott straft uns nicht, er liebt uns, hört mir zu, das ist die immer erst zu entdeckende Botschaft von Karfreitag.

Doch der schwierige Teil an dieser frohen Botschaft lautet: Der Tod ist jetzt nicht einfach weg. Das Leiden auch nicht. Aber der Horizont, in dem wir leben und in dem wir sterben, der hat sich verändert. Er ist nicht mehr todfixiert, sondern lebensorientiert. Die Hoffnung wird unsere Toten nicht verlieren an das Dunkel. Sie stehen mit Christus auf zu einem neuen Leben. 

Darum will ich, Paulus, euch aufrufen: Lasst euch ganz neu versöhnen mit Gott! Versucht in seinen Willen einzuwilligen. Sagt mit den Worten der Jahreslosung von 2020: Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Mehr muss nicht sein. Das alleine ist schon viel, ist schon alles, was euch zur Befreiung von der Gewalt des Todes dient.

Liebe Mitfeiernden an Karfreitag,

als Menschen gehören wir mit allen unseren Mitmenschen zu einer vom Leid gezeichneten Welt. Als Christen gehören wir mit allen Gläubigen zu einer die Hoffnung und die Liebe verbreitenden  Gemeinschaft, die zuerst und vor allem mit den Trauernden weint, aber dann auch das Leben verkündet, das in Christus über den Tod siegt. Eine andere Kirche hat Gott nicht gewollt.

Amen.

Pfarrer Andreas Bührer