Predigt am 21. Februar 2021,
Text: Johannes 13, 21-30
Ich freue mich, dass ihr heute Morgen in dieses Gotteshaus gekommen seid. War ja auch lange genug geschlossen.
Ich bin der, den der Evangelist Johannes den Lieblingsjünger Jesu nennt. Johannes schreibt in dem Fall immer: Der, den Jesus liebhatte. Aber was heißt schon immer? Nein, nicht von Anfang an, aber nachdem wir lange miteinander unterwegs waren, etwa zwei Jahre. Da hatte sich doch ein besonderes Verhältnis zwischen mir und Jesus entwickelt. Eine besondere Vertrautheit. Wir mochten einander einfach. Das kann man ja nicht erzwingen, da muss einfach die Chemie stimmen.
Ich glaube nicht, dass ich mir diese Rolle herausgesucht habe. Ich wollte nicht vor den anderen Jüngern der LIEBLING Jesu sein. Denn das ist ja auch schwierig, wenn einer der Liebling ist und die anderen nicht. Das wisst ihr auch, aus euren Familien, vielleicht aus eurer Kindheit. Wo es Lieblinge gibt, gibt es auch Neid und Feindseligkeit. Aber, wie gesagt, es hat sich halt so ergeben. Man kann das nicht immer verstehen, man kann es auch nicht immer verhindern, dass man den einen Menschen mehr mal als den anderen. Ich glaube, dass Johannes deshalb auch meinen Namen nicht genannt hat, damit dieser Name nicht zum Anstoß wird für die anderen. Dass sie sich nicht aufregen über mich.
Naja, aber deshalb erzähle ich euch das Ganze nicht, sondern weil in diesem Zusammenhang auch die traurigste Geschichte geschehen ist, die von uns Jüngern im Evangelium erzählt wird.
Die Traurigste - und die dramatischste. Wahrscheinlich gibt es keinen anderen Augenblick, vielleicht mal abgesehen vom Tag der Kreuzigung, bei man bis heute ganz instinktiv die Luft anhält, wenn man Ohrenzeuge dieser Szene wird, wenn man eintritt in die Atmosphäre jenes denkwürdigen Abends.
Also, die Geschichte passierte an dem Abend, als Jesus uns die Füße gewaschen hatte. Jedem einzelnen von uns. Auch wenn uns das erstmal total Unrecht war. Seit wann wäscht denn ein HERR seinen Dienern die Füße? Das hatte es noch nie zuvor gegeben.
Aber Jesus hatte zu uns gesagt: Lasst es geschehen, so muss es sein. Denn da wo ich regiere, da kehren sich die Verhältnisse um. Da dient Gott den Menschen und nicht umgekehrt. Da sucht Gott die Menschen und nicht umgekehrt. Da macht Gott sich für uns klein, um uns ein Beispiel zu geben, wie wir es auch machen sollen. Nicht über den anderen stehen, nicht über sie herrschen, sondern einander dienen, füreinander da sein, einander lieben.
Das war – wie bei Jesus üblich – mal wieder eine ganze andere Tonlage als sonst in der Welt. Wo doch jeder nur sich selber dienen will, seinem Fortkommen, seinem Ansehen, seiner Beliebtheit, da sagt Jesus: Wer unter euch der Größte sein will, der sei euer aller Diener.
Also, wir waren noch ganz durcheinander von diesen Gedanken und unseren gewaschenen Füßen und lagen so in unserem Versammlungsraum auf unseren Polstern, es war auch schon dunkel, als Jesus plötzlich ins Gemurmel hinein sagt:
Einer von euch wird mich verraten. Einfach so. Wie eine Bombe. Einer von euch wird mich verraten. Posch. Das war so ein Stecknadel-Moment, ihr wisst schon, wo man eine Stecknadel hätte fallen hören. Alle hielten wir die Luft an.
Was für ein Satz, was für ein Schock, was für eine Wucht!
Und nun begannen die Augen zu wandern, ganz langsam, überall kamen die Augen zum Vorschein, als wären sie uns in dem Moment ganz neu gegeben worden. Ringsherum flogen Blicke umher, kreuz und quer, und in jedem Blick stand die entsetzte Frage: Wen meint er? Wer soll, wer wird ihn verraten? Das kann doch nicht sein. Das ist absolut unmöglich.
Auf einmal traf mich ein Blick von Petrus- aber es war ein anderer Blick als zuvor – und er winkte mir ganz unauffällig mit der Hand…und ich wusste sofort, was er wollte. Denn ich lag ja ganz dicht bei Jesus, unsere Köpfe waren ganz nah beieinander. Ich musste mich nur ein bisschen umdrehen, um ihm ins Gesicht zu schauen – und ihm die Frage aller Fragen zu stellen: Wen meinst du? Wer ist es, von dem du sprichst?
Und Jesus sah mich an und sagte leise: Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich zuvor in die Schüssel tunke, geben werde.
Und seine Hand nahm das Stückchen Brot, tauchte in die Schüssel und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und er, er nahm diesen Bissen, diesen furchtbaren Bissen und aß. So als würde er selbst nicht wissen, dass er gemeint war. So ahnungslos wirkte das. So harmlos angesichts dessen, was Jesus gesagt zu mir gesagt hatte. Das war doch wie ein vergifteter Bissen, den er da zu sich nahm.
Und könnt ihr euch das vorstellen, wie das war für mich? Denn in diesem Augenblick wusste ja außer Jesus nur ich selbst, dass Judas gemeint war. Dass er Jesus verraten würde. Nur ich allein war Träger dieses Geheimnisses.
Und das blieb auch so, denn die anderen haben gar nicht kapiert, was da ablief. Wie sollten sie auch, es standen ja alle unter Schock!
Und Jesus? Nein, er sagte es nicht offen und frei heraus, wen er meinte, sondern sagte zu Judas lediglich: Was du tun willst, das tue bald!
Ich glaube, die anderen haben gemeint, dass er noch etwas einkaufen soll vor dem Passahfest oder dass er den Armen noch etwas geben soll, weil er ja unser gemeinsames Geld verwaltet hat.
Sie haben es einfach nicht verstanden. Judas war ja auch nicht irgendwie aufgefallen vorher. Er war nicht schon immer der böse Bube bei uns. Sondern ich glaube, dass ihn irgendwie der Teufel gepackt haben muss in dem Augenblick, als er diesen feuchten Bissen Brot aß.
Ich kann es mir nicht anders erklären. So muss es irgendwie gewesen sein. Ich bin auch überzeugt, dass es jeder andere hätte sein können. Sonst wären doch die Augen nicht so hin und hergeflogen! Wenn wir´s gleich geahnt hätten, wen wir anschauen müssen! Wahrscheinlich hat sich sogar jeder selber gefragt:
Meint Jesus mich? Bin ich es, der ihn verrät?
Das ist eine dunkle Stunde für alle gewesen, das könnt ihr euch vorstellen. Denn ich glaube wirklich, dass es jedem so ergehen kann. Jeder kann Verräter sein, selbst mit guten Absichten.
Ihr könnt euch vorstellen, dass niemand von uns diesen Moment jemals wieder vergessen hat, als wir uns alle gegenseitig anschauten und uns selbst prüften: „Bist du es, bin ich es?“ (Abgang)
Auslegung des Gehörten
Liebe Gemeinde,
ja, was wir eben vom anonym bleibenden Lieblingsjünger Jesu erzählt bekommen haben, das hat es wirklich in sich. Es ist auch eine der am meisten gemalten oder anderweitig künstlerisch gestalteten Szenen aus den Evangelien.
Der angekündigte Verrat des Judas und jener verflixte Bissen Brot, den er von Jesus bekommt.
Nun kann man natürlich fragen und als Pfarrer und Prediger muss ich das sogar: Wo finden wir in dieser dramatischen und eher schockierenden Geschichte sowas wie ein Evangelium, eine gute Botschaft für heute?
Das ist wahrlich nicht einfach hier auszumachen! Auch wenn Martin Luther natürlich Recht hat, wenn er sagt: „Das Evangelium ist wie ein grünes Kräutlein. Je länger man es mit den Fingern reibt, desto stärker duftet es.“
Nun, also, welche guten Düfte können wir hier gewinnen?
Ich meine, erstens, ganz grundsätzlich, wenn wir den Autor fragen würden, den Evangelisten Johannes, dann würde er wohl antworten:
Auch diese dunkle Geschichte ist ein Teil des Heilsplanes, den Gott durch Jesus für uns alle gehabt hat. Natürlich würde man sich wünschen, Jesus hätte nie sterben müssen, wäre auch nie verraten worden: Aber gerade so, auf diese Weise hat Gott die Erlösung vom Bösen und den Tod des Todes in die Welt gebracht. So sehr hat er die Welt geliebt, dass er seinen einzig geborenen Sohn hingab, in den Tod gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben, heißt es schon zu Beginn des Johannesevangeliums.
Also muss auch die Figur des Judas, diese dunkle Spielfigur auf diesem Ereignisfeld, diesem Heilsplan Gottes dienen. Jesus selbst kündigt es an, Jesus gibt ihm den Bissen, Jesus sagt zu ihm: Was du tun willst, das tue bald. Er hindert ihn nicht, er redet es ihm nicht aus, er schickt ihn förmlich hin.
Das ist nicht leicht zu verstehen, das behält seine dunkle Seite, Judas wird dafür nicht geliebt, nicht geschätzt, nicht gerechtfertigt, im Gegenteil, sagen die anderen Evangelisten, aber es ist trotzdem eine beschlossene Sache. So muss es denn geschehen. Denn ohne Verrat und Tod keine Auferstehung, kein Ostern, keine Hoffnung auf die Ewigkeit.
So hatte Gott selbst sich gedacht, so schwer uns das in den Kopf will. Übrigens so schwer wie bei Hiob, von dem die Schriftlesung handelte.
Zweitens, und das ist nun eher ein Lernimpuls als ein Evangelium, könnten wir an dieser Geschichte lernen, dass es gut ist, in Jesu Nähe zu bleiben. Wir müssen deshalb kein Lieblingsjünger sein – und schon gar nicht eingebildet.
Aber dass wir uns nicht von Jesus und seiner Gemeinde entfernen und zum Zuschauer werden. So ein bisschen außen stehen und die Sache beurteilen nach unserem Gusto. Es ist ja kein Geheimnis: Die weitaus meisten Mitglieder der Kirche, da brauchen wir nicht groß die Statistik bemühen, nehmen heute eher so eine Zuschauerrolle ein, so mit der Haltung: Ich brauche die sonntägliche Gemeinde nicht, um ein guter Mensch zu sein. Ich komme auch ohne die Begegnung mit dem Evangelium ganz gut klar. Ich weiß doch, was drinsteht.
Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, wie Gott darüber denkt. Das kann ich nicht beurteilen. Das steht mir nicht zu.
Aber was ich weiß, ist, dass die Gemeinden dadurch nicht stärker werden, nicht lebendiger, nicht aktiver. Sondern dass es immer weniger werden, die sich eingebunden wissen, angesprochen von Jesus. Dass wir immer mehr Mitglieder verlieren.
Und darum denke ich, dass ein guter Impuls dieser Geschichte sein könnte, dass wir uns wie die Jünger ganz ehrlich fragen:
Herr, wer ist es, der dich verrät? Könnte ich es sein? Willst du mich bei dir haben und ich weiche dir aus? Verfolge ich mehr meine eigenen Pläne als deine? Mache ich vor allem mein eigenes Ding? Erkläre mir und jedem, warum ich lieber außen vor bin?
Und das dritte:
Was ist mit dem Bösen? Wie kommen wir damit klar, dass es heißt: Der Satan, der Teufel sei in Judas gefahren. Als er den Bissen von Jesus nahm?
Es bleibt eines der großen Rätsel dieser Welt, warum es das Böse gibt. Warum Gott es zulässt. Warum er ihm nicht Einhalt gebietet. Die Erzählung vom Paradies sagt uns ja ziemlich klar: Weil wir es selbst haben wollen, den Widerspruch, das Nein gegen Gottes Gebot. Wir wollen uns eben nichts vorschreiben lassen. Wir wollen wie Gott selbst sein.
Doch auch wenn das so ist, kann man immer noch fragen: Warum gibt es diese Möglichkeit überhaupt? Warum ermöglicht Jesus in dieser Geschichte die Tat des Judas? Warum verhindert er sie nicht? Warum lässt Gott in der Geschichte von Hiob dem Satan so lange sein böses Tun gewähren?
Es ist nicht leicht, hier eine Antwort zu geben. Klar ist, das Böse ist größer als der einzelne Mensch, es ist überindividuell. Aber klar wird auch: Die Macht des Bösen ist begrenzt, es erhält immer nur den Raum, den Gott ihm gewährt. Und ganz zuletzt steht die Erkenntnis, dass das Böse, ob es will oder nicht, immer dem Guten dienen muss. Und sei es durch den Tod Jesu am Kreuz. Und sei es durch andere Schicksale und Schläge. Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen, hat Paulus geschrieben, hat Bonhoeffer bekannt. Das Böse hat letztlich keinen Bestand, keine Chance. Auch durch unser persönliches Leid hindurch wird Gott sein Heil aufrichten, daran kann ihn niemand hindern.
Amen.
Andreas Bührer