Lesepredigt für den Sonntag Kantate am 10.05.2020
Abgesagt
Haydn, Mozart und Schubert
dirigiert von Marek Janowski
Nicht abgesagt
das Cellospiel im 3. Stock
das Lied der Amsel
Mit diesen Zeilen beginnt die Luzerner Theologin Jacqueline Keune ihre Beschreibung dieser Wochen. Ja, Konzertsäle und Bühnen bleiben leer. Auch die jetzt angekündigten Lockerungen betreffen sie leider nicht. Und wir haben uns irgendwie damit abgefunden. Wer würde sich auch trauen, darüber zu klagen, in Zeiten, in denen immer mehr Menschen gar nicht mehr dran denken können, sich eine Karte für die Oper zu leisten. Aber während die großen Stars auch ohne Einkommen noch lange Zeit auskommen werden, ist es schlimm für diejenigen, die angewiesen sind auf ihre Auftritte.
Trotz allem wird weiter musiziert. Nicht abgesagt ist der Gesang auf dem Balkon im 3.Stock oder auf der Terrasse oder am Fenster. Wie es in Rom und Neapel angefangen hat, wo sie der Stille unter ihren Balkonen auf den menschenleeren Straßen Italiens getrotzt haben - mitunter sogar mit improvisierten Schlagzeugen wie Pfannen und Töpfen. Hier bei uns spielen sie Cello, Flöte oder Gitarre abends wenn die Glocken läuten „der Mond ist aufgegangen“ und bitten für sich und ihre Nachbarn um einen ruhigen Schlaf, der auch bei mir so selten geworden ist in diesen Wochen.
Auch andere musikalische Besonderheiten bringt diese Zeit mit sich: Posaunen- und Alphornbläser stehen am Osterfest vor Pflegeheimen und bringen die Osterbotschaft wohltönend und lautstark zu denen, die auf ihren Balkonen mitsingen und wieder wissen: Wir sind nicht vergessen. Chöre und Orchester, für die momentan keine Proben stattfinden, schneiden ihre zuhause aufgenommenen Videos zusammen, so dass man im Internet ihre Konzerte hören kann. So hat es auch unsere Kantorin gemacht zusammen mit Menschen aus der Gemeinde mit ihrer mutmachenden Botschaft: We are the world – zusammen schaffen wir es.
Ja, Singen, die Musik stärkt und verbindet Menschen auch im social distancing. Sie steckt an mit Zuversicht und Hoffnung, sie tröstet, beruhigt und gibt uns in Krisenzeiten Halt. Von der großen Wirkkraft, die ein gemeinsames Lied hat, von einem außergewöhnlichen Musikerlebnis erzählt der Geschichtsschreiber im 2.Buch der Chronik. Er schildert die große gottesdienstliche Einweihungsfeier des Tempels, den vor rund 3000 Jahren König Salomo in Jerusalem erbauen ließ:
Predigttext 2.Chronik 5, 2-5. 12-14
Salomo versammelte alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des Herrn hinausbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels, und die Leviten hoben die Lade auf und brachten sie hinaus samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten. (……)
Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: „Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig“, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.
Ich stelle mir vor, wie die Menschen damals nach diesem glanzvollen Gottesdienst wieder zurück nach Hause gingen: Erfüllt von den machtvollen Klängen der Trompeten, angerührt von den zarten Tönen der Saiteninstrumente und vom Zusammenklang der vielen Stimmen; vielleicht noch diesen einen Ton oder ein Lied auf den Lippen und tief im Herzen berührt von der Gewissheit: Gott selbst war mitten unter uns, ganz nahe und spürbar. Er hat sich seinem Gottesvolk geoffenbart und es seiner Treue vergewissert – ganz so wie damals, als er jeden Tag als Wolkensäule vor ihnen her gegangen war den langen schweren Weg durch die Wüste.
Ja, es gibt Gottesdienste, in denen Menschen so angerührt werden und erfüllt von solchem Gottvertrauen zurück in ihren Alltag gehen. Und das hat viel mit der Musik in unseren Gottesdiensten zu tun. Sie schenkt uns Erfahrungen, die uns solche Vergewisserung von Gottes Nähe und Mitgehen in unserem Leben geben - oft mehr als das gesprochene Wort.
Viele könnten das so unterstreichen und machen immer wieder ähnliche Erfahrungen: Da trifft ein mitgesungener Choral gerade den Ton meines Lebens und meine Gefühlslage und ich gehe getröstet und zuversichtlich aus dem Gottesdienst; da erlebe ich beim Mitsingen eines beschwingten Lobliedes wie sich die bedrückende Enge in mir auftut und ich mich mitnehmen lassen kann von den Höhen der Musik; ein Orgelspiel löst meine Angespanntheit, weitet und öffnet das Herz und ich finde in den Tiefen der Musik einen Grund, der mir Halt gibt.
Deshalb gehört die Musik zu den wichtigsten Quellen unseres Glaubens und ist unverzichtbarer Bestandteil unseres Glaubenslebens. Ja, die Musik, so beschreibt es unser Chronist, ist „ein Türöffner für die Gegenwart Gottes“. In ihr begegnet uns Gott, spricht zu uns, vergewissert uns seiner Treue.
Dass dies nicht erst eine Entdeckung unserer christlichen Glaubensgeschichte ist, zeigt der Predigttext. Im 1.Königebuch ist fast wortwörtlich derselbe Bericht, den der Chronist kopiert hat (1.Kön.8, 1 ff). Mit dem einen Unterschied, der seine eigene Handschrift und seine Deutung trägt: In den Augenblicken, als der gewaltige Chor zur Ehre Gottes spielt und seine Güte preist ist Gott gegenwärtig. Der Türöffner ist dieser Lobgesang, der in hundert- und tausendfacher Vielstimmigkeit den einen gemeinsamen Grundton findet, der mitklingt wenn alle gemeinsam singen: „Der Herr ist gütig und seine Barmherzigkeit währt ewig.“
Bis heute ist dies in unserer jüdisch-christlichen Tradition verankert: Der Grundton unseres Glaubens ist das Lob Gottes. Durch die vielen Jahrhunderte hindurch, selbst durch Zeiten größter Peinigung hat das Gottesvolk mit diesem Grundton gesungen. Selbst in Ausschwitz und Birkenau haben sie nicht aufgehört und sogar das Kaddisch, das Gebet am Totenbett, ist ein einziger Lobgesang auf den lebendigen Gott. Auch Jesus ist seinen schwersten Weg gegangen begleitet vom Nachklang des Lobgesangs, den er mit seinen Jüngern nach dem Abendmahl angestimmt hatte. An ihm, Jesus, hat Gott für uns gezeigt, dass er die nicht enttäuschen wird, die sein Lob singen. Deshalb können wir in seinen Lobgesang nicht nur am Sonntag Kantate einstimmen, sondern in jedem Gottesdienst und gerade in Zeiten, die uns ängstigen.
Denn wer Gott lobt, auch wenn er grade keinen Grund dafür bei sich selbst findet, hält dennoch an dieser Gewissheit fest, dass Gott auf ewig treu und barmherzig ist. Das ist mehr als Mut ansingen im Dunkeln. Das ist vielmehr ein sich Hineinsingen in das Wissen, gehalten zu sein von dem Gott, dessen Güte ewig währt, während die Zeit der Not begrenzt ist.
Singen wir also, gemeinsam mit anderen oder alleine, üben wir diese Grundmelodie unsers Glaubens im Vertrauen darauf, dass das alte Lied des Klagens verklingen wird und das neue Lied immer mehr Raum unter uns gewinnt, ein Loblied, das Türen öffnet in dieser Welt und in unseren Herzen für die Gegenwart Gottes und uns erfahren lässt: Wo Ihr Gott lobt, da ist er mitten unter euch.
Amen.
Pfarrerin Beate Schneider